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Um das Wesen der geneigten bzw. verengten Vokalen zu verstehen, muss man zurück ins 15. Jh gehen. Etwa zu dieser Zeit beginnt nämlich ihre Geschichte. Diachron gesehen kann man die geneigten Vokale als eine Weiterentwicklung der langen Vokale verstehen. Das Urslawische unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen, deren Reflexe von einigen Slawinen (wie z.B. vom Tschechischen, Serbokroatischen oder Slowenischen) bis heute bewahrt wurden. Auch im Altpolnischen kannte man die Erscheinung der Vokallänge bzw. -quantität (vgl. Klemensiewicz 1981, S. 100f). Noch im 15. Jahrhundert wurde von Parkoszowic die orthographische Kennzeichnung der langen Vokale durch die Verdoppelung der Buchstaben empfohlen (vgl. Kuraszkiewicz 1981, S. 61). Doch bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörte diese Schreibweise der Vergangenheit an (vgl. Klemensiewicz & Lehr-Splawiñski & Urbañczyk 1965, S. 29 und Stieber 1966, S. 58f.). In dieser Zeit kamen statt der Buchstabenverdoppelung Schrägstriche über diese Zeichen (á, é), was als Beweis für den Schwund der Vokalquantität aus der polnischen Sprache gilt. Einige lange Vokale ([i], [u], [y]) glichen sich den entsprechenden kurzen Vokalen an, andere ([a], [e], [o]) wurden verkürzt, aber anstatt der Angleichung mit den kurzen Vokalen verengten sie ihre Artikulation. Deshalb wurde angenommen, dass die Zeit um die Jahrhundertwende (15./16. Jahrhundert) die Geburtsstunde der verengten Vokale darstellt. (...) der Schwund der Quantitäten hat sich in der Zeit zw. 1440 und 1518 vollzogen. D.h., dass in dieser Zeit die Quantitätsunterschiede allmählich geschwunden sind, während die Verengung der Artikulation als Nebenerscheinung der Länge immer deutlicher hervortrat. An Stelle der Opposition >kurz-lang< trat seitdem die Unterscheidung der Quantität >geneigt-nichtgeneigt<. (Gonschior 1973, S. 20)
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